Gestern hatte ich eine sehr tolle Erfahrung und das war so homosexuell
Ich bin homosexuell und wohne in einer kleinen Wohnung und verstehe mich mit meinen Rentner-Nachbarn so gut, dass alle im Haus denken, dass ich der Sohn von denen bin. Und das obwohl es nicht stimmt und ich homosexuell bin. Grundsätzlich nichts schlimmes, ganz im Gegenteil. Ich habe immer jemanden der meine Pakete von Amazon annimmt und auch hin und wieder ein Glas Bier oder Wein für mich übrig hat. Ganz zu schweigen von einem offenen Ohr.
Ladys zu Besuch
Nun haben gestern meine Nachbarn ein paar, nennen wir sie Ladys, zum italienischen Abend eingeladen. Die Ladys waren alle ü60 und sprühten nur so vor Lebenslust. Und an dieser Stelle darf ich ganz ehrlich sein wenn ich sage, dass ich auch gerne so in meinen alten Tagen leben möchte und das gerade weil ich homosexuell bin.
Die Ladys waren schon auf dem Balkon versammelt
Wie immer war ich zu spät auftgeaucht. Der sechseckige Holztisch war unter den ganzen mitgebrachten Köstlichkeiten kaum noch zu erkennen. Es wurden lauter kleine Tapas kredenzt, ein köstlicher Auberginenauflauf angerichtet, eine natürliche Nachspeise nachgelegt und vor allem windige Weine weggegossen.
Es war durchweg ein gelungener Abend. Bis auf diese eine Situation.
Als Homosexueller denke ich mir, dass ich es eigentlich meine Sache ist, wem ich anvertraue, dass ich auf Männer stehe. Ist das jedoch wirklich so? Obliegt dieses Privileg wirklich bei mir alleine? Dürfen andere Menschen darüber reden, dass ich persönlich auf Männer stehe?
Lange habe ich darüber nachgedacht. Immerhin geht ja auch kein Heterosexueller hin und reibt es jedem unter die Nase, dass er heterosexuell ist.
Sagen Heteros, dass sie hetero sind?
Aber Stimmt das alles so?
Gehen wir einmal Schritt für Schritt durch diese Gedanken:
- Sagen Heteros wirklich nicht, dass sie Heteros sind? Gerade heute bekomme ich es immer wieder von Bekannten mit. Sebastian hat auf einer Party wieder ein nettes Mädchen kennengelernt. Hat er gerade gesagt, dass er hetero ist? Juliane und Christoph heiraten. Und die sagen nicht, dass sie hetero sind? Jan hat gestern wieder eine von Tinder vernascht. Thomas hat eine neue Freundin. Sven wird Vater.
All das impliziert doch, dass all die Pärchen hetero sind und nicht homosexuell . Das ist ja auch gut so. Das sollen sie ja auch. Aber auf eine subtile Art und Weise sagen Heteros, dass sie hetero sind. Demnach ist es doch auch völlig in Ordnung wenn mich jemand fragt ob ich homosexuell bin. Das ist doch das normalste der Welt.
Ich denke mir dann immer, dass Heteros einfach nicht schlau genug sind um subtiler mit diesem Umstand umzugehen. Daher kommen sie dann buchstäblich mit dem Holzhammer auf mich zu, holen mit voller Wucht aus und schlagen dann ohne mit der Wimper zu zucken mit voller Wucht auf mich ein. „Bist du etwa schwul?“
Wir Homosexuelle sind da vielleicht mit ein wenig mehr Feingefühl ausgestattet. Aber das wir in manchen Fällen sensibel und unsere Gesprächspartner eher mit der Holzhammermethode vorgehen gibt uns nicht das Recht uns angegriffen zu fühlen. Viel mehr implementiert es die Pflicht, dass wir Homosexuelle uns einen Schutzhelm anziehen, der den harten Schlag nicht nur abfedert, sondern den Holzhammer selber zersplittern lässt. Nur wenn man sich selbst so ernst nimmt, dass einen eine einfache Frage nicht zu schocken vermag, kann man souverän mit der Situation umgehen. Und wenn man auf eine solche Situation vorbereitet ist, sich also den Schutzhelm anzieht, ist auch die rabiate Art von einigen Heteros bald vergessen.
Ich glaube auch ganz klar, dass Heteros gar keine böse Absichten haben. Vielleicht haben sie ja auch jemanden den sie gern haben im Bekanntenkreis der ein ebenso toller Mensch ist wie du und ich. Vielleicht wollen sie dir das auch nur mitteilen. Also: Schutzhelm an und stell dich den Heteros.
Darf mich jemand bei neuen Leuten als homosexuell outen?
Ich habe so lange darüber nachgedacht. Es war auch nicht das erste Mal, dass ich einfach von Menschen angesprochen wurde weil sie gehört haben, dass ich schwul bin. Neulich erst auf einer Hochzeit sogar von mir wildfremden Menschen. Zuerst war ich extrem irritiert. Ganz nach dem Motto: Na, mit welchem Typen hast du hier schon alles geschlafen? Was soll das bitte? Geht es noch frecher? Ich war kurz davor dieser Person mal gehörig meine Meinung zu sagen. Also holte ich tief Luft, schaute von unten an den Hosenbeinen entlang nach oben in das Gesicht meines Gesprächspartners und sagte: Ja. Ich bin schwul.
Und genau das war der Moment wo ich mich darüber freute, dass andere Menschenüber meine Sexualität reden. Ich will ja sogar, dass es jeder weiß! Outing ist super! Ich habe für mich selber herausgefunden, dass nur so auch die Akzeptanz in der Gesellschaft weiter vorangetrieben werden kann. Und das schönste an dem Abend war nicht etwa die Hochzeit von zwei sehr lieben Menschen für mich. Ich hoffe die beiden verzeihen es mir. Für mich persönlich war die Situation nach der komischen Ansprache viel bedeutender. Der Mensch, den ich vorher gar nicht kannte sagte mir, dass er einen Bruder hat. Der Bruder hat sich mit 21 Jahren bei seiner Familie geoutet. Und er fühlt sich seit dem sehr wohl in seiner Haut. Er wird von seinen Mitmenschen noch genau so respektiert wie vorher. Und auch genauso behandelt wie jeder andere Mensch auch.
Augen auf! Ich bin homosexuell!
Das Mitteilungsbedürfnis des Hochzeitsgasts hatte mir ein Stück weiter die Augen geöffnet. Wie soll denn jemand, der in seinen jungen Jahren vor der Herausforderung steht sich selber einzugestehen, dass er auf Jungs steht erfahren, dass er nicht alleine auf der weiten Welt ist wenn keiner darüber redet?
Ich habe mich gedanklich in meine frühen Jahre zurückversetzt und habe mir insgeheim gewünscht, dass meine Eltern, meine Brüder, meine Verwandten meine Freunde oder auch nur irgendwer einmal darüber geredet hätte, dass er auch homosexuelle kennt. Alleine diese Tatsache, so denke ich zumindest heute, hätte mir damals meine Angst, die ich vor meinem Outing hatte ein wenig geschmälert.
Also geht verdammt nochmal raus und redet. Redet darüber wie eure Beziehungen laufen. Redet darüber, dass ihr Homosexuelle kennt. Dass Sie akzeptiert werden. Dass sie Teil der Gesellschaft sind. Wir sind Gesellschaft.
Um jetzt auf den schönen Sommerabend auf dem Balkon zurück zu kommen:
Ich wurde von einer sehr redseligen Mittsechziger auf meine Sexualität angesprochen. Sie hat mittlerweile einen Enkel. Oskar. Oskar hat sich bereits bei seinen Eltern geoutet. Bei der Oma jedoch noch nicht. Und sie ist wirklich eine sehr offene Oma. Zumindest nach 2 Falschen Wein. Sie schwärmte in den höchsten Tönen von Oskar. Oskar hier und Oskar da. Es war ein wohlig warmes Gefühl welches sich in mir ausbreitete. Es hat wirklich Spaß gemacht ihr zuzuhören.
Sie erzählte mir auch, dass Oskar schon mit seiner Mutter, also der Tochter der Oma, darüber geredet hat, dass er auch der Oma von seiner sexuellen Neigung erzählen wolle. Die Mutter hat die Oma gebeten, nicht aktiv auf Oskar zuzugehen. Diesen Wunsch respektiert die Oma auch. Und gleichzeitig habe ich der Oma an dem wunderbaren Abend genau die Geschichte von der Hochzeit erzählt. Die Hochzeit, bei der ich auch erst eine innere Entwicklung mitgemacht habe und mir gewünscht habe, dass man einfach nur redet. Über Homosexualität, über Normalität, über Akzeptanz.
Die Oma hörte andächtig zu.
Man sah ihr förmlich an, wie sie über meine gesagten Worte nachdachte. Sie schenkte sich nochmal den sizilianischen Rotwein nach und lächelte mich an. Ob sie nun ganz einfach in einem Nebensatz im Gespräch mit Oskar erwähnt hat, dass sie auch im Bekanntenkreis einige Homosexuelle hat weiß ich nicht. Ich hoffe nur, dass Oskar seinen Mut zusammen nimmt und offen mit ihr redet.
Und wenn du das hier gerade lesen solltest: Du hast eine echt wunderbare Oma. Und sie freut sich schon auf den Moment wenn du endlich mit der Sprache rausrückst. Sie weiß es eh. Genau wie alle Mütter es wissen. Schließlich ist sie auch eine Mutter und spürt das.